Hier nun die Dokumentation zur Ausstellung Manfred Paul: Mauer | Fotografie
Dokumentation der Ausstellung „Manfred Paul: Mauer | Fotografie“ vom 6.11.2019 bis 12.1.2020 der Galerie Pankow Berlin.
Transkription des Videos
Manfred Paul: Ich bin ja eigentlich so von Natur aus kein
Dokumentarist; habe mich aber dann eigentlich
während des Prozesses dann dazu entschlossen,
dass eigentlich das Ereignis doch sehr bestimmend ist
und wollte eigentlich das Gefühl, was ich
habe, versuchen mit Bildern irgendwie zu erklären.
Das war ja mehr eigentlich dass man so einen
bestimmten Lebensraum hatte, der ja durch die
Mauer sehr stark beeinflusst wurde. Also das
Verhalten, das Reagieren, es ging immer um Mauer,
irgendwo ist Schluss und darauf zu reagieren,
was passiert eigentlich jetzt, wenn die weg ist.
Und dann wollte ich eben vor allen Dingen diese hier, die Kleinen, wollte ich auch auf diesem Papier bringen.
Und die Polaroids und die Panoramen und die Großen würden auf dem Papier kommen.
Annette Tietz: Manfred, du bist 1989, gleich nachdem die Mauer gefallen ist, losgegangen, um diese Situation zu fotografieren.
Die Mauer hat sich ja unmittelbar hinter deiner damaligen
und heutigen Wohnsituation befunden, in der Ystarder Straße.
Was war für dich der Anlass?
Manfred Paul: Eigentlich war ich erst mal am Anfang sehr irritiert, dass das stattfand
und hatte das eigentlich gar nicht so
ernst genommen. Als ich dann aber begriffen habe,
dass da irgendwas fällt, was jahrelang als unzerstörbar galt,
bin ich eigentlich losgegangen, erst noch gar
keine Vorstellung, was ich mache, sondern die
Situation hat mich eigentlich beherrscht,
mehr oder weniger. Ich habe versucht dann auf
die Situation zu reagieren und während des ganzen
Prozesses des Bildermachens sozusagen, eigentlich
auch für mich irgendwie eine Idee zu entwickeln.
Aber das Ereignis war schon das Entscheidende erstmal.
Das war natürlich absurd, dass ich im Grunde als ich nach Berlin ging,
weil ich an der Filmhochschule Kamera studieren wollte,
dann ausgerechnet in die Ystader Straße kam.
In der Ystader Straße liefen eigentlich schon so eine Art Vorklärer.
Also das waren Polizisten, die immer guckten, wer da so geht.
Und wenn man vom Lande kommt,
wo man als Kind irgendwie über Berge laufen konnte,
endlos, war das natürlich für mich irritierend,
dass es auf einmal Schluss war. Hier war zu Ende. Ja und so endgültig.
Und es klang so, als ob die nie wegfällt.
Diese Discofotos, die Porträts, die würden jetzt so eine
Größe haben. Die einen waren ja zu groß, die wir hatten.
Und das wären jetzt die auf dieser Größe in den 50×60 Rahmen.
Annette Tietz: Also ich finde dieses Foto von dem Bahnhof Bornholmer Straße,
S-Sahn Bornholmer Straße, in diesem Zusammenhang ganz schön,
weil mich das persönlich so berührt.
Das ist ja eine Situation,
die man sich heute nicht mehr vorstellen kann.
Dass also hinter dem S-Bahnhof Schönhauser Allee
in der S-Bahn die Türen zugemacht wurden,
Gas gegeben wurde und dann ist man durchs
Niemandsland der Grenze durchgefahren
und in Pankow wurden die Türen wieder aufgemacht.
S-Bahnhof Pankow.
Und in der Situation stand der Bahnhof damals und
ich kenne den auch nur in dieser verlassenen Situation.
Annette Tietz: Du hast ja erst mit den Fotos angefangen mit
der Plattenkamera und dann hast du später noch Polaroids gemacht.
Manfred Paul: Ja. Und da kam die Idee,
eigentlich das mal auszuprobieren
und habe dann festgestellt, dass das eigentlich
diese momentane Situation, die sich so schnell
verändert, eigentlich eine Möglichkeit wäre,
um mit Polaroids das für mich festzuhalten.
Annette Tietz: Das sind ja eigentlich Notate.
Manfred Paul: ja das sind so wie Tagebucheintragungen.
Und mich selbst dann auch zu verständigen, was da passiert
weil ich glaube, als Fotograf denkt man
eigentlich mehr mit Bildern,
also nicht mit Worten und man versucht nicht wie
Literaten das zu formulieren, sondern versucht
das über Bilder sich zu erklären. Und ich habe
eigentlich immer versucht, mir mit Bildern meinen
Sinneseindruck zu erklären. Also meistens ist das
Bild weiter vorn als nachher die Erklärung.
Annette Tietz: Die kommt dann hintendrein.
Annette Tietz: Wir kommen jetzt hier zum Schluss
noch zu den Panoramen.
Welche technischen Möglichkeiten hast du dafür genutzt?
Hast du die auch mit der Plattenkamera gemacht?
Manfred Paul: Ja, entstanden ist es eigentlich dadurch,
dass ich gemerkt habe, dass irgendwas noch fehlt beim Arbeiten .
Und ich wollte eigentlich diese Unendlichkeit,
die sich da durch so eine Landschaft zieht,
so eine Stadtlandschaft,
die wollte ich versuchen darzustellen und in seiner Globalität.
Annette Tietz: Das ist ja auch wichtiger Aspekt, der dass Einzelfoto,
den Ausschnitt nochmal ergänzt.
Manfred Paul: Wie einfach so eine Stadtlandschaft
zerschnitten wird, geteilt wird.
Ich meine, als ich die anderen,
da hatte ich immer das Gefühl, vorher war das
so wie ein Golem, der da so mächtig steht, dann liegt er
dann auch auf der Erde und alle latschen drüber.
Und die Zeit, die wir in dahinter
verbracht hatten, war auf einmal weg.
Das interessiert auch keinen mehr heute, wie wir das erlebt haben.
Annette Tietz: Das war ja mit ein Anlass
auch diese Ausstattung so zu machen und
zu zeigen oder nochmal Aufmerksamkeit darauf
zu lenken, wie die Situation für die diejenigen gewesen ist,
die also wirklich im Osten gelebt haben.
Gerade diese Diskussion und die Debatte
in den zurückliegenden Jahren ist ja sehr
westlich und sehr ideologisch bestimmt gewesen.
Und es ist ja unser Leben gewesen
und wir haben ja auch eine eigene Perspektive darauf
und ich sehe sehr stark eben auch diesen Blick.
Eugen Blume: Was wir feierlich bedenken sollen, so hört man,
ist der Eintritt in die Freiheit. Was aber ist
das Wort Freiheit anderes als ein Begriff
von äußerster Fragwürdigkeit, bei dem es
vor allem darauf ankommt, wer ihn im Munde führt.
Man sollte denjenigen grundsätzlich misstrauen,
die Freiheit ohne Zögern und ohne utopisches
Verlangen ausstreuen wie hohles Zuckerwerk.